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Love in the baroque bunker: Handel's "Cesare" at the Salzburg Festival

Published on July 27, 2025

Liebe im Barockbunker: Händels „Cesare“ bei den Salzburger Festspielen Von: Markus Thiel Drucken Teilen Verführung bei Bombenalarm: Giulio Cesare (Christophe Dumaux) und Cleopatra (Olga Kulchynska). © Monika Rittershaus Händels „Giulio Cesare“ steckt Dmitri Tcherniakov bei den Salzburger Festspielen in den Bunker. Das geht nicht ganz auf. Dafür dirigiert Emmanuelle Haïm mit einer Überdosis Adrenalin. Es ist der Tag, an dem Polens Präsident Donald Tusk vor einem russischen Angriff in zwei Jahren warnt. Im Haus für Mozart gellen die Sirenen, ein Schriftband fordert dazu auf, Schutzräume aufzusuchen, es gibt angenehmere Premierenauftakte. Auf der Bühne sehen wir das, was uns blühen könnte. Ein Betonbunker, Matratzen, Decken, Wasser aus dem Kanister und die Leiche eines Mannes im Anzug, es ist Pompeo, Widersacher Cäsars. Als sie zwei Akte später nochmals enthüllt wird, halten sich alle die Nase zu oder erbrechen sich. Barockoper hat Dmitri Tcherniakov, (zu?) oft gebuchter Regisseur und Bühnenbildner, vorher noch nie inszeniert. Für die Salzburger Festspiele verfällt er auf einen Trick, den er oft ausprobiert hat, etwa bei Wagners „Ring“ an der Berliner Staatsoper: Wir verpflanzen alles in ein stückfremdes Ambiente und schauen, was mit den Figuren passiert. Bei „Giulio Cesare“ von Georg Friedrich Händel wird schnell klar: Die drehen durch. Cornelia zum Beispiel, Witwe Pompeos, die irgendwann ihren Sohn Sesto verführen will. Tolomeo, ägyptischer König, der es mit aasiger Brutalität auf den Titelhelden, vor allem auf die Frauen abgesehen hat. Sesto, der in der Panikattacke die Wände hochgeht. Oder Cleopatra, Tolomeos Schwester, die zwar letztlich Cäsar verfällt, aber ansonsten als Girlie durch die Szene stöckelt, TV-Comedienne Martina Hill dürfte sich als Larissa wiedererkennen. Händel als Endspiel von heute Menschen im Bunker: Tcherniakov erzählt von emotionalen Extremsituationen, von Ausweglosigkeit, von Liebe aus Notwehr und Notgeilheit. Ein Endspiel von heute, das er als Folie über die beliebteste Barockoper legt (Kostüme: Elena Zaytseva). In der Vergrößerung, auch Vergröberung der einzelnen Befindlichkeiten funktioniert das oft. Zumal der Regisseur sich nicht müht damit, für sein Personal in den langen Arien inklusive Da Capi Beschäftigungsaktionen zu entwickeln. Fast alle sind ständig auf der Bühne. Wer gerade nicht singt, ist in eine Parallelhandlung verwickelt. Es ist ein schonungsloser Realismus, dem man hier ausgesetzt wird – und für den man sich ab und zu den Text zurechtbiegen muss. Irgendwann fangen alle an, in ihrem Bunker-Trauma um sich selbst zu kreisen. Die Aufführung wird diffus und so monochrom wie die Betonwände. Zumal Tcherniakov ausblendet, was Händels Musik noch liefert und benötigt. Doch aus diesem Abend, der ersten Opernpremiere der Sommerfestspiele, ist aller Liebreiz, alle Wärme gewichen und leider auch aller Witz. So genau Tcherniakov manchmal arbeitet (wobei sicher viel von den exzellenten Sängerinnen und Sängern mitgebracht wird), so sehr wird nur ein Segment des Stücks bedient. Christophe Dumaux ragt als Cesare heraus Welche Fülle an Bedeutungen, Ebenen und Dimensionen „Giulio Cesare“ bietet, das erschließt sich bei dieser Premiere nur übers Ohr. Auch weil da Charakterstars aktiv sind, für die Schönheit nicht alles bedeutet. Nehmen wir den großartigen Christophe Dumaux: Vor eineinhalb Jahrzehnten, bei Cecilia Bartolis ersten Salzburger Pfingstfestspielen, war er noch Tolomeo, jetzt ist er zum Titelhelden aufgerückt. Timing, Flexibilität und Artikulation sind nahe der Perfektion, einzig an seinen Counter-Klang, in den sich viele Essigessenzen mischen, muss man sich gewöhnen. Auch an Lucile Richardot (Cornelia), die mit ungeschützter Tiefe als Marilyn Horne 2.0 unterwegs ist und kerliger als die Männer tönt. Federico Fiorio gewinnt dem Sesto ungewöhnliche Facetten ab: Er ist Sopranist, traumwandelt durch Vokalhöhen und geht im Dramatischen auf volles Risiko. Counter Yuriy Mynenko stellt als Tolomeo seine Registerbrüche offen und lustvoll aus. Am ausgeglichensten bewegt sich Olga Kulchynska. Ihr lyrisch grundierter Sopran kann mühelos Raum gewinnen. Die Tragik, aber auch das Erotische Cleopatras lässt sie mit intelligenter Dosierung zu Klang werden – es ist die „klassischste“ Vokalleistung des Abends. Angetrieben werden sie alle von der Frau im Graben. Emmanuelle Haïm ist mit ihrem Ensemble Le Concert d’Astrée erstmals bei den Festspielen. Mit einer Überdosis Adrenalin wirft sie sich in die Partitur. Die Farben glühen, der Orchestermotor läuft heiß, alles ist mit substanzreichem, nie aufgedicktem Klang musiziert – dieser Händel kommt frisch aus dem McFit. Auch tragische Momente wie Cleopatras „Piangerò“ sind zügig durchpulst, verströmen sich nicht in Melancholie. Bis in den zweiten Akt hinein klingt manches auch drahtbürstig, doch dann verströmt sich immer mehr Wärme. Das Publikum ist aus dem Häuschen und wird ohne Schriftband nach vier Stunden in die Salzburger Nacht entlassen. War wohl falscher Alarm.